Y. Kupferberg: Zum Bilderverbot. Studien zum Judentum im späten Werk Max Horkheimers

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Title
Zum Bilderverbot. Studien zum Judentum im späten Werk Max Horkheimers


Author(s)
Kupferberg, Yael
Published
Göttingen 2022: Wallstein Verlag
Extent
207 S.
Price
€ 28,00
Reviewed for H-Soz-Kult by
Tobias Lensch, Philosophisch-Pädagogische Fakultät, Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt

Yael Kupferbergs Studien zum Judentum im späten Werk Max Horkheimers, so der Untertitel, reihen sich ein in die in letzter Zeit häufiger anzutreffende Diagnose, dass die vor allem deutschsprachige Rezeption der frühen Frankfurter Schule, in diesem Beispiel anhand von Max Horkheimer, in bestimmter Hinsicht korrigiert und ergänzt werden muss. Kupferbergs Ziel mit ihren Studien ist es, zu zeigen, dass die Kritische Theorie Max Horkheimers zuerst mit „jüdischem Denken“ identifiziert wird, also „insofern in Philosophie übersetztes Judentum [ist]“ (Kupferberg, Zum Bilderverbot, S. 181), und zwar ein „säkuläres Judentum im 20. Jahrhundert“ (S. 26).

Der Gang der Argumentation entfaltet sich auf insgesamt zehn Kapiteln mit einer ausführlichen vorangestellten Einleitung. In dieser Einleitung wird auch deutlich, wieso Kupferberg es als notwendig erachtet, Horkheimers jüdisches Denken in den Blick zu nehmen. So macht sie beispielsweise auf Detlev Claussens Annahme aufmerksam, „Horkheimer habe dem Judentum keine übermäßige Bedeutung zukommen lassen […]“, um sie in ihren Studien zu „hinterfragen“ (S. 24). Als Gewährsperson wird dafür der Historiker Dan Diner angeführt, der die „inkubatorische Bedeutung“ Horkheimers deutsch-jüdischer Provenienz für dessen Leben und Wirken hervorhebe (S. 24). Dieses Leben und Wirken wird im zweiten und dritten Kapitel beschrieben, insbesondere Horkheimers Erfahrungen und Selbstbeschreibungen im Exil. Die weiteren Kapitel (betitelt mit „Judentum“, „Sehnsucht“, „Religion“) sind Kontexte, die zu Horkheimers Verständnis vom Bilderverbot und seinem Insistieren darauf hinführen. Das Aufkeimen und weitere Bestehen von Antisemitismus werden nach dem Hauptkapitel über das Bilderverbot im Kontext von „Idolatrie“ sowie „Diaspora und Israel“ weiter vertieft.

Zentrale Stellung in dieser Grundargumentation nimmt das Verbot des Bildes ein, dass gerade bei Horkheimer Ausdruck einer Verweigerung einer falschen Positivität ist, wie Adorno es in einem Brief an Horkheimer formulierte (S. 31), der eben dieser Verweigerung in seinen schriftlichen und mündlichen Arbeiten vehement Ausdruck verlieh. Für die eine oder den anderen Leser:in mag es überraschend sein, dass bestimmte Themen, die für Horkheimers Kritische Theorie als zentral angenommen werden, in dieser Monographie weniger Raum bekommen, wie beispielsweise seine (in Zusammenarbeit mit Adorno) entstandenen Reden zum Bildungsbegriff und zum Bildungsproblem in Deutschland zu seinen Lebzeiten, weil gerade in diesen Arbeiten eben jene Verweigerung einer falschen Positivität für den Präsidenten der Universität Frankfurt, der Horkheimer zur Zeit seines Spätwerks war, öffentlichkeitswirksam kommuniziert wurde. Zugleich betont Kupferberg, wie sehr sich Horkheimer dem demokratischen „Erziehungsauftrag“ (S. 41) verpflichtet fühlte und daraus einen „akademischen Auftrag, gerade im „Land der Täter“ politisch aktiv zu sein“ (S. 40), ableitete. Damit sich Auschwitz nicht wiederhole, müsse immer wieder an den „epochalen Bruch“ erinnert werden. Kupferberg versteht dieses (jüdische) Denken und Handeln und die politische Aktivität als ein „Manifest einer Generation von jüdischen Intellektuellen […] »nach Auschwitz«“ (S. 42).

Von der erkenntnistheoretischen Dimension und der gesellschaftlichen Bedeutung (S. 130) des Bilderverbots ausgehend kommt Horkheimer zur politischen Konsequenz eines missachteten Bilderverbots – oder wie Kupferberg schreibt: „Offensichtlich war die in der projektiven Bemächtigung des Bildes innewohnende Manipulativität am Aufstieg und an der Festigung des Nationalsozialismus maßgeblich beteiligt“ (S. 130). Damit kommt Horkheimer zu dem Schluss, dass wenn Entfremdungserfahrung verstärkt und Autonomie zurückgedrängt werde, letztlich der Antisemitismus in der Gesellschaft befördert werde (S. 130f.). Damit erweitert Horkheimer das Bilderverbot religiösen Ursprungs in eine „kritische Haltung“ beziehungsweise eine kritische Dimension: Fehle es an jener, fehlt auch ein „Korrektiv“, und „die Potenzialität des »Anderen« entfielen“ (S. 131).

Neben der Gegenüberstellung des Judentums und Christentums (und die dort anzutreffende Aufhebung des Bilderverbots), die immer wieder herangezogen wird, um Horkheimers Thesen für das jüdische Denken zu betonen, ist die Auswahl an Autoren zu nennen, die Kupferberg mal in Abgrenzung, mal in affirmativen Kontexten benutzt, um Horkheimers Verständnis vom Bilderverbot umfassend zu erläutern. So wird in den Studien unter anderem mit Cohen, Adorno, Freud, Marx und Kant gerade in dem Kapitel über das Bilderverbot gearbeitet, weil mithilfe dieser Autoren die Übersetzung eines Bilderverbots in ihre kritische Kraft besonders gut demonstriert werden kann.

Sich mit Marx der „Bindung an den »Fetisch« bewusst [zu werden]“ (S. 140) oder mit Cohen das Bilderverbot als „kognitive[n] Garant der Emanzipation, der Erkenntniskritik: Als die »Grenze« zwischen »Glauben« und »Wissen«“ zu verstehen, weil „[Gott] nur Urbild für den Geist, für die Vernunftliebe, aber nicht Gegenstand der Nachbildung [ist]“ (S. 141), oder mit Kants Unterscheidung zwischen Ding an sich und seiner Erscheinung zu zeigen, dass „Gott [für Kant] nicht Gegenstand des Wissens, sondern des Hoffens sei“ (S. 78), kann Horkheimers Verweigerung einer falschen Positivität und der Sehnsucht nach dem ganz Anderen weitere (historische) Rechtfertigungszusammenhänge hinzufügen.

Ein wichtiges Ergebnis der Studien ist die Rekonstruktion der bis dahin häufig vernachlässigten Bedeutung des Judentums für die Kritische Theorie insgesamt. Das Insistieren auf dem Bilderverbot „fordere die analytische Fähigkeit ein“, es „fördere und fordere die kritische Haltung zur Welt und unterbinde potenziell die Affirmation. Darin unterscheidet sich jüdisches Denken von der abendländischen Philosophie“ (S. 97). Beispielhaft ist damit auch der kleinste gemeinsame Nenner einer jeden Kritischen Theorie angesprochen, dass nämlich die gesellschaftlichen Verhältnisse nicht nur beschrieben werden können, sondern dass sie auch verändert werden sollten.

Ein weiteres damit direkt zusammenhängendes Ergebnis der Studien von Kupferberg sind die moralischen und politischen Konsequenzen, die sich aus dem so verstandenen Bilderverbot für Horkheimers Kritische Theorie ergeben haben. Nur mit der Bedingung eines derart verstandenen Kritikbewusstseins (S. 134) lässt sich Herrschaftskritik verständlich machen; nur so lässt sich dem Verhalten, zu einem instrumentellen Verhältnis zur Welt einzutreten, etwas entgegensetzen. Es ist für Horkheimer somit vor allem eine Arbeit, die politische Unmündigkeit zu bekämpfen (S. 138). Das Festhalten am Bilderverbot „erweist sich damit als kognitiver Garant der Emanzipation, als Erkenntniskritik: Als die »Grenze« zwischen »Glaube« und »Wissen«“ (S. 141).

Den klaren und begriffsscharfen Studien Kupferbergs steht ein Inhaltsverzeichnis voran, das allerdings sehr allgemein gehalten ist und mit Verzicht auf Unterkapitel die Studie in (überwiegend) Einzelbegriffe wie „Judentum“, „Sehnsucht“, „Religion“, „Bilderverbot“, „Idolatrie“ einteilt. Da das titelgebende Kapitel zum „Bilderverbot“ selbst 14 von insgesamt 183 Seiten (ohne Literaturangaben) umfasst, hätten genauere Angaben zur Strukturierung und zum Aufbau der restlichen Studie zusammen mit Unterkapiteln der Leserin oder dem Leser zur Übersicht gutgetan, auch weil es stellenweise im Unklaren bleibt, wieso die einzelnen Kapitel zu genau diesen ausgewählten Themen in einem kohärenten Zusammenhang zum Bilderverbot stehen.

Davon abgesehen stellen Kupferbergs Studien mehr als nur einen Beitrag zum späten Werk Horkheimers dar, sondern veranschaulichen, inwiefern das Judentum für Horkheimers Leben prägend und für bestimmte Lebensentscheidungen bestimmend war. Zuletzt ist die eloquente, überzeugende und originelle Betrachtungsweise von Kupferbergs Rekonstruktion zum jüdischen Denken in Horkheimers Kritischer Theorie hervorzuheben. Eine wünschenswerte Folge daraus wäre, insbesondere für den akademisch-philosophischen Diskurs, die stärkere Auseinandersetzung mit diesem neuen, weiteren Forschungsbeitrag, wie ihn Kupferbergs Studien darstellen, sodass einer Korrektur und Ergänzung der Rezeptionsgeschichte der Kritischen Theorie nichts im Wege steht, sondern sie mit offenen Augen und Ohren begrüßt wird.

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